Mehr und mehr lese ich in verschiedenen Online-Foren, dass die sogenannte Trageschwäche eine Modediagnose ähnlich PSSM, EMS und einer Vielzahl anderer, in den letzten Jahren gehäuft auftretender Diagnosen sei.
Und das stimmt wohl in gewissem Maße auch. Es kommt hierbei auf die Betrachtungsweise an. Denn was ist eigentlich “Mode”? Da liegt nämlich der Kern allen Übels.
Die Zucht hat sich bekanntlich grundlegend geändert. Zum Einen werden Pferde mit immer mehr Bewegung und hervorragender Rittigkeit gezüchtet, was in Hypermobilität endet und darin, dass selbst schwächere Reiter diese Pferde spektakulär vorstellen können. Letztere erhalten auf diversen Social-Media-Kanälen 5-stellige Klickzahlen, werden ob ihres Talentes in den Himmel gehoben und dienen weiteren Reitern als Vorbilder.
Zum Anderen werden Rassen von Hobbyzüchtern wild gemixt; was dabei herauskommt sind Pferde mit einem derart ungünstigen Exterieur, dass die Probleme als Reitpferd bereits vorprogrammiert sind.
Die Ausbildung ist ein weiterer Faktor, der den Weg zu einer handfesten Trageerschöpfung ebnet. War sie in vergangenen Zeiten meist schonend und nachhaltig, strampeln heute bereits 3-Jährige im starken Trab und hinter der Senkrechten durch die Verkaufsshows.
Eine weitere “Modeerscheinung” ist es, dass sich in den vergangenen 20 Jahren immer mehr Leute Pferde anschaffen, die wenig Kenntnisse über Haltung, Fütterung, Ausbildung und Training haben und sich ihr Wissen ausschließlich online aneignen. Sie halten ihre Pferde “naturnah” und sind der Ansicht, dass die Bewegung in dieser Haltungsform ausreichend sei, um ein gesundes Reitpferd zu erhalten. Trainingspläne, der zielgerichtete Aufbau einer tragfähigen Muskulatur und vor allem das Erkennen dieser sind meist Mangelware.
Wenn es dann zu ersten Problemen kommt, in die trotzdem weiter “reintrainiert” wird, manifestieren diese sich und setzen einen Kreislauf in Gang, der nur schwer zu beheben ist.
Viel zu viele Pferde, die ich im täglichen Training sehe, leiden mittlerweile an ersten Anzeichen einer Trageschwäche oder bereits einer bestehenden massivern Trageerschöpfung. Die Symptome sind weitreichend, folgend sind nur einige genannt:
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ausgeprägter Unterhals
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verspannte Muskulatur hinter der Schulter und unter dem Schulterblatt
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Löcher hinter dem Widerrist
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nach innen gedrehte Vorderhufe, Strahl zeigt nach innen
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Rückständigkeit der Vorhand, dadurch bedingt untergeschobene Trachten, lange Zehe und vermehrte Zug auf den Sehnen → Durchtrittigkeit
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verspannte, teils bereits aufgewölbte Lendenmuskulatur
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vom Widerrist nach hinten ansteigende Rückenlinie
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“Hängebauch”
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Axthieb (nicht zu verwechseln mit rassebedingtem Axthieb)
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Rücken fällt beidseitig dachartig ab
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stark ausgeprägter Trizeps durch Ziehen über die Vorhand
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Pferd ist triebig und antriebsarm
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Pferd hustet zu Beginn des Training/des Reitens
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Pferd stolpert und läuft “in den Boden hinein”
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Der Sattel will einfach nicht passen
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Pferd hebelt sich in die nächst höhere Gangart
Hinzu kommt bei einigen Pferden, die noch nicht gänzlich aufgegeben haben, Abwehrverhalten. Satteln, Trensen, Putzen, Reiten: In allen Bereichen nehmen die Probleme zu. Wenn das Geld da ist, beginnt eine Odysee aus Therapeuten, Tierärzten, Kliniken, (Verhaltens-) trainern, Schmieden, Sattlern etc., nicht selten ohne am Ende einen Schritt weitergekommen zu sein, da viele Fachleute die Problematik noch nicht auf dem Zettel haben.
Im nächsten Schritt (oder eben mangels finanzieller Mittel) wird das Problempferd verkauft. Auch das ist leider Mode. Pferd funktioniert nicht? Weg damit, nächstes her. Nicht selten bedeutet dies für das Pferd den Beginn des Daseins als Wanderpokal.
Ich würde mich darüber freuen, wenn es wieder modern werden würde, seiner Verantwortung als Besitzer nachzukommen. Das heißt, dass man ein solides und erweitertes Basiswissen haben sollte, welches über das übliche Reitschulwissen hinausgeht, bevor man sich ein Pferd anschafft. Man sollte sich darüber bewusst sein, dass es viel Zeit und auch Geld in Anspruch nimmt, seinem Pferd durch und durch gerecht zu werden. Gutes Training, gutes Futter, gute Haltung, gute Ausrüstung sind die Basics. Und diese Dinge kosten nun mal.
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